Interview mit Ebay-Deutschland-Chef Oliver Klinck

„In 23 Jahren E-Commerce habe ich noch nie solch einen Wandel erlebt“

eBaySeit mehr als zwei Jahrzehnten ist Ebays Deutschland-Chef Oliver Klinck bereits in der E-Commerce-Branche aktiv. Doch so stark, wie die Branche in jüngster Zeit in Bewegung ist, habe er sie noch nicht erlebt. Politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Faktoren verändern die Kundenbedürfnisse, die Kauflaune sinkt, gleichsam verschiebt sich der Fokus auf das, was nun angeschafft werden soll. Dadurch ist in einigen Kategorien auf dem Marktplatz ein massiver Zulauf zu beobachten, in anderen lässt die Nachfrage stark nach.

Im Zuge der Eröffnung der diesjährigen Händler-Zusammenkunft „eBay open“ am 7. und 8. September in Berlin betonte Klinck angesichts solch ständiger Veränderungen die Bedeutung des Netzwerkes aus Händlern, Privatverkäuferinnen und -Verkäufern sowie der Kundschaft – gemeinsam sei man stark und widerstandsfähig, um sich den aktuellen Herausforderungen und Veränderungen zu stellen.

Welche Tendenzen auf dem Marktplatz zu erkennen sind, wie Ebay Händler in dieser Zeit unterstützen will und welche letzten Tipps jetzt noch für das Jahresendgeschäft beachtet werden sollten, verriet uns Oliver Klinck im Interview.

„Wir können auf die Flexibilität des Marktplatzes setzen“

OnlinehändlerNews: Oliver, kaufst du deine Weihnachtsgeschenke eigentlich selbst auf Ebay?

Oliver Klinck

Oliver Klinck, VP eBay Deutschland

Oliver Klinck: Ja, ich kaufe und ich verkaufe sogar Geschenke bei Ebay – aber natürlich nicht die von der Familie (lacht). Das Spannende bei Ebay für mich ist, dass man immer auch etwas Besonderes findet. Außerdem nutze ich seit ungefähr zwei Jahren sehr aktiv unsere Refurbished-Angebote, wenn ich etwa meinen Kindern, die inzwischen arbeiten und studieren, nützliche Technik schenken möchte. Bevor Ebay diesen Verkaufsbereich startete, hatte ich es ehrlicherweise als Privatkäufer noch gar nicht so auf dem Radar, aufbereitete Produkte zu erwerben – und habe dann gemerkt, dass man sich bei einem solchen Einkauf sogar ein bisschen besser fühlt.

Für das diesjährige Weihnachtsgeschäft sieht es im Online-Handel ja alles andere als rosig aus: Hohe Inflation, anhaltende Störungen in den Lieferketten und bei der Warenbeschaffung, Energiekrise sowie eine sinkende Konsumlaune stellen enorme Herausforderungen dar. Wie geht Ebay als Unternehmen damit um?

Ebay kommt in dieser Situation das eigene Geschäftsmodell zugute: Als Marktplatz bringen wir Nachfrage und Angebot zusammen. Krisenzeiten sind davon geprägt, dass es plötzlich riesige Nachfrage-Peaks zu einem bestimmten Thema gibt – und das oft, wenn keiner damit rechnet und entsprechende Produkte nicht überall vorrätig sind. Wir selbst haben aber kein Lager und müssen nicht vorhersagen, was wann nachgefragt wird und es bevorraten. Diese Aufgabe verteilt sich auf dem breiten Rücken der tausenden Business-Händler*innen bei Ebay Deutschland.

So können wir stets auf die hohe Flexibilität des Marktplatzes setzen. Ein aktuelles Beispiel: Infolge der Meldungen zur drohenden Gasknappheit und zu steigenden Energiekosten gab es einen großen Nachfrage-Peak nach elektrischen Heizungen. Stationäre Händler*innen hatten die Geräte in der Regel nicht vorrätig – zu der Zeit betrugen die Temperaturen in Deutschland noch um die 30 °C. Auch andere große Marktplätze, die selbst Waren als Eigenmarken verkaufen, waren darauf nicht vorbereitet. Auf Ebay gab es indes mehrere Anbieter, die diese Nachfrage bedienen konnten – wir hatten also kein Bestandsproblem.

Außerdem können wir uns in Ausnahmefällen auf unseren globalen Marktplatz stützen. Als sich beispielsweise im Zuge der Coronapandemie in Deutschland viele Menschen einen Pool in den Garten stellen wollten, waren viele Modelle hierzulande fast ausverkauft. Ebay konnte im Millisekunden-Takt Angebote von Pools aus Spanien und Italien auf den deutschen Marktplatz schalten. Und selbst, wenn die Lieferung etwa eine Woche dauerte, gab es Pools auf Ebay in jeder Größe, Form und Farbe. Genau darin liegt die Kraft des Marktplatzes. Für Ebay selbst sind solch schnelle Änderungen im Konsumverhalten somit meist weniger problematisch – für uns ist es stattdessen eine wichtige Frage, wie wir in solchen Zeiten unsere Händler*innen unterstützen können.

Ebay profitiert von der großen Produktvielfalt

Solche Veränderungen im Konsumverhalten sind das eine, doch derzeit gibt es gar eine Art „Konsumschock“. Welche Entwicklungen sieht Ebay diesbezüglich auf dem Marktplatz? Inwieweit merkt ihr diese Veränderungen – und kann die beschriebene Flexibilität diese auffangen?

Wir bemerken Schockwellen – und zwar in beide Richtungen. Während der 23 Jahre, die ich jetzt schon im E-Commerce tätig bin, habe ich tatsächlich noch nie solch einen starken Wandel erlebt: In großen Kategorien haben wir teils 150-prozentige Steigerungen der Verkäufe registriert. Starke Aufwärtstrends verzeichnen wir beim Thema „Erneuerbare Energien“ z. B. Photovoltaik- (rund +400 Prozent) und Solarthermie-Anlagen (rund +126 Prozent) und bei Produkten, mit deren Hilfe sich Energie sparen lässt – etwa im Segment Smart Home, z. B. Smart Home Lichter (Nachfrageanstieg um rund 600 Prozent).

Negative Ausschläge gibt es bei hochwertiger Elektronik, was teils auf Probleme in den Lieferketten und unattraktive Preise zurückzuführen ist – dadurch sind die Leute beim Kauf zurückhaltender. Eine sinkende Nachfrage sehen wir zudem bei hochpreisigen Möbeln, weil sich viele Menschen zum einen während der Coronakrise bereits neue Einrichtung gekauft haben und zum anderen genauer auf ihre Ausgaben achten. Sie kaufen statt eines Designer-Sofas momentan eher einen günstigen Deko-Artikel.

Ebays Stärke ist, dass wir sowohl eine große Bandbreite an Produkten als auch Artikel in verschiedenen Zuständen, also neu und gebraucht, anbieten. So überlegen aktuell viele Kund*innen, ob sie zwingend Neuware brauchen oder aber Elektronik und Möbelstücke gebraucht erwerben. Aus diesem Grund etablieren sich dann wiederum neue Unternehmen, die Ware wie Möbel oder Fahrräder reparieren bzw. aufbereiten und erneut verkaufen. Dieses Netzwerk aus Verkäufer*innen und Käufer*innen macht Ebay nicht nur so vielseitig, sondern ermöglicht es, dass sich der Marktplatz in Bezug auf Nachfrage und Angebot größtenteils selbst managt.

Solche Nachfrage-Peaks haben oft auch Auswirkungen auf die Preisentwicklung. Wie geht Ebay damit um? Wann greift ihr als Marktplatz ein?

Auch bei der Preisentwicklung reguliert sich der Markt in der Regel selbst: Viele Händler*innen sind sehr an Daten zur Preisentwicklung interessiert und wir stellen ihnen die entsprechenden Vergleichsdaten zur Verfügung. Es lässt sich zum Beispiel einsehen, wie viele Angebote zu welchen Preisen es für vergleichbare Artikel gibt. So haben Unternehmen die Möglichkeit, die eigene Kalkulation bestmöglich dem Wettbewerb anzupassen. Und wir als Marktplatz stellen auf diese Weise sicher, dass Händler*innen nicht völlig überteuerte Angebote einstellen.

Eingriffe von unserer Seite passieren sehr selten. Wir treten nicht als Preisregulierer auf, das dürfen wir auch nicht. Unsere Rechtsabteilung prüft aber beispielsweise, ob bestimmte Güter des täglichen Bedarfs exorbitant überteuert angeboten werden, während es am Markt gerade keine Alternativen gibt. Wir mussten etwa beim Verkauf von Masken eingreifen, die zwischenzeitlich überall rar waren und dann auf Ebay gar zu Wucherpreisen angeboten wurden. Unter solch besonderen Umständen lassen wir dann nur Listings bestimmter Verkäufer zu. Als sich infolge des Ukraine-Krieges die Preise für Sonnenblumenöl massiv erhöht haben, sind wir aber nicht dagegen vorgegangen: Bei dem Öl kam es einerseits vermehrt zu Hamsterkäufen, andererseits gab es weiterhin günstige Alternativen zu kaufen, sodass Leute nicht zwingend auf die hochpreisigen Online-Angebote zurückgreifen mussten.

Diese Unterstützung bietet Ebay E-Commerce-Unternehmen jetzt

Es ist bereits angeklungen: Die aktuelle, schwierige Wirtschaftslage belastet vorwiegend kleine bzw. mittelgroße Handelsunternehmen. Wie helft ihr ihnen in dieser Zeit?

Die Hälfte der kleinen und mittelständischen Online-Händler*innen bekommt derzeit die zusätzlichen Belastungen durch Inflation, Lieferschwierigkeiten und steigende Energiepreise zu spüren, wie eine Umfrage, die wir gemeinsam mit Statista durchgeführt haben, ergeben hat. Der Großteil der Händler*innen auf Ebay betreibt kleine und mittelständische Betriebe, weshalb wir verschiedene Hilfestellungen anbieten. Dazu zählen erstens Informationen: Im Zuge der Corona-Pandemie haben sich zum Beispiel Unternehmen teils aus einer Notlage heraus gefragt, mit welchen Angeboten sie punkten oder welche Nische sie nun am besten bedienen können. Mit unseren Analysetools können sie herausfinden, in welchem Bereich die Nachfrage zurzeit sehr hoch und das Angebot vergleichsweise gering ist.

Zweitens unterstützen wir Händler*innen durch verschiedene Dienstleistungen in der Logistik, damit sie auch als kleine Firma die Möglichkeit haben, ihre Waren zu ähnlichen Bedingungen wie die größeren Konkurrenten auszuliefern, ohne dabei das eigene Kerngeschäft zu sehr aus den Augen verlieren zu müssen. Neben unseren Fulfillment-Angeboten mit Orange Connex bieten wir Lösungen für stationäre Händler*innen in Kooperation mit dem Logistikdienstleister Fiege in mehreren deutschen Städten an: Aus dem Geschäft können Waren nach der Online-Bestellung noch am selben Tag und zu konkurrenzfähigen Preisen abgeholt und versendet werden.

Und drittens, haben wir ganz aktuell unsere Partnerschaft mit dem Finanzdienstleister Iwoca bekannt gegeben. Händler*innen in Deutschland sollten vor allem in Krisenzeiten aus unserer Sicht die Möglichkeit haben, ohne großen Aufwand Kleinstkredite zu bekommen. Wegen der Lieferkettenkrise gibt es einen hohen Bedarf an schnellen Finanzierungslösungen, stark nachgefragt werden kleinere Beträge. Doch wenn Betriebe akut, zur Überbrückung einer Cash-Lücke oder für eine Warenfinanzierung, 5.000 Euro oder eben einmal 100.000 Euro benötigen, ist die Bereitstellung solcher Summen im klassischen Bankensystem nicht immer so einfach bzw. schnell realisierbar. Dank Iwoca können Händler*innen in der Regel innerhalb von 24 Stunden Kredite von 2.500 bis zu einer Million Euro erhalten. Das Kreditangebot orientiert sich an den Ebay-Umsätzen, sodass der Kreditgeber die notwendigen Sicherheiten hat, dass das Geld zurückgezahlt werden kann.

Weihnachtseinkäufe: Die Kundschaft macht keine Kompromisse mehr

Wie lautet dein wichtigster Tipp: Was sollten Ebay-Händler jetzt noch für ein erfolgreiches Jahresendgeschäft beachten?

Händler*innen müssen jetzt neu denken. Es ändert sich zwar nicht alles, aber wir haben bereits im letzten Weihnachtsgeschäft gesehen, dass sich der Zeitpunkt des Kaufes immer weiter nach vorn verlagert: Die Menschen warten nicht mehr bis zu Aktionstagen wie Black Friday oder Cyber Monday, um Geschenke zu kaufen. Diese Tendenz lässt sich im gesamten Handel beobachten. Und Kund*innen sind nicht mehr bereit, beim Einkauf Kompromisse zu machen: Sie wollen ein gutes Produkt, guten Service und einen fairen Preis. Für sie zählt, wie sie es gekauft haben.

Deshalb haben wir dieses Jahr ganz bewusst die Themen „value & purpose“ in den Mittelpunkt gerückt: Sowohl gute Deals, also ein optimales Preis-Leistungs-Verhältnis, als auch das Gefühl, mit dem Einkauf vielleicht etwas Gutes zu tun, ist für viele Menschen im Moment wichtig. Und wir wollen nicht, dass sie für günstige Angebote auf letzteres verzichten müssen. In unserem Re-Store-Bereich ergibt sich ein gutes Gefühl beim Kauf schon aus der Sache heraus. In anderen Kategorien können wir einen CO₂-Ausgleich des Einkaufs anbieten. Wir arbeiten mit mehreren Händler*innen aktuell noch an weiteren Maßnahmen.

Viele Online-Shopper kaufen im Übrigen besonders gern zur Weihnachtszeit bei Ebay – wegen der zahlreichen kleinen Händler*innen. Sie sind das Herzstück von Ebay – und deshalb haben wir die kleinen und mittelständischen Unternehmen auch künftig stets im Fokus.

Vielen Dank für das Gespräch!

Geschrieben von Hanna Behn
Dieser Artikel wurde zuerst auf dem Portal Onlinehändler-news.de veröffentlicht.